Für die Umsetzung der Schengen/Dublin-Zusammenarbeit stehen den operativen Einheiten Informatiksysteme zur Verfügung, welche für ihre Arbeit unabdingbar sind. Im Bereich Asyl & Einreise sind dies beim SEM beispielsweise das Eurodac und das Visum-Informationssystem (VIS), im Bereich der Strafverfolgung beim fedpol das Schengener Informationssystem (SIS). Der Schengen-Besitzstand sieht zudem vor, dass die Mitgliedstaaten die rechtlichen Grundlagen zur Übermittlung von Passagierdaten bei Non-Schengen-Flügen (sog. Advance Passanger Information, API) schaffen. Die heutige Schengen-Systemlandschaft (Eurodac, VIS, API, SIS) besteht in diesem Umfang grundsätzlich seit dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum im Dezember 2008.
Als Konsequenz aus der Migrationskrise im Jahr 2015 sowie aus den Terroranschlägen in verschiedenen Städten Europas in den vergangenen Jahren hat die Europäische Kommission verschiedene Neuerungen in der Schengener Informationsarchitektur vorgeschlagen. Die Gesetzgebungsinitiativen der KOM lassen sich in drei Kategorien aufteilen:
- Schaffung neuer Systeme (Einreise-/Ausreisesystem (EES), Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS))
- Optimierung bestehender Systeme (Visa Informationssystem (VIS), Europäische Daktyloskopie (Eurodac), Schengen Informationssystem (SIS))
- Einführung neuer Komponenten zur Förderung der Interoperabilität.
Diese Initiativen sollen einerseits dazu beitragen den Aussengrenzenschutz zu verbessern und andererseits die Sicherheit innerhalb des Schengen-Raums zu erhöhen. Neben den Grenzkontrollorganen und den Polizeibehörden werden auch die Migrationsbehörden davon betroffen sein. Das SEM ist bei dieser Schengen-Reform insbesondere bei den folgenden Arbeiten involviert, die in enger Zusammenarbeit mit den anderen zuständigen Stellen des Bundes durchgeführt werden:
- Ein- und Ausreisesystem (EES)
Das EES sieht vor, alle Drittstaatsangehörigen, die für einen kurzfristigen Aufenthalt (max. 90 Tagen je Bezugszeitraum von 180 Tagen) in den Schengen-Raum einreisen, bei Ein- und Ausreise an den Schengen-Aussengrenzen u.a. mit biometrischen Identifikatoren (Fingerabdrücke und Gesichtsbild) elektronisch zu erfassen. Personen, die sich länger als erlaubt im Schengen-Raum aufhalten, werden als Overstayer identifiziert und auf einer zentralen Liste erfasst. Das neue System wird die bisherigen manuellen Stempelungen im Reisedokument ersetzen.
- Europäisches Reiseinformations- und -bewilligungssystem (ETIAS)
Ähnlich wie mit dem ESTA in den USA sollen sich mit ETIAS visumbefreite Drittstaatsangehörige im Vorfeld der Einreise in den Schengen-Raum online registrieren. Der Reiseantrag wird durch eine zentrale Einheit bei Frontex oder durch eine nationale Einheit auf Sicherheits-, Migrations- und Gesundheitsrisiken geprüft. Die ETIAS-Reisegenehmigung soll eine neue Bedingung für die Einreise in den Schengen-Raum darstellen. Die ETIAS-Reisegenehmigung soll indes kein Recht auf Einreise garantieren. Eine Reisegenehmigung soll sieben Euro kosten und drei Jahre gültig sein.
- Interoperabilität der EU-Informationssysteme
Die EU-Kommission hat zwei Verordnungsvorschläge zur Interoperabilität vorgelegt, um eine zielgerichtetere Nutzung der verfügbaren Informationen in bestehenden und künftigen Systemen zu gewährleisten. Betroffen sein sollen das Entry/Exit-System (EES), das Visa-Informationssystem (VIS), das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) sowie das Schengen-Informationssystem (SIS). So soll ein «Europäisches Suchportal» den Grenzschutzbeamten oder Polizeibeamten ermöglichen, gleichzeitig mehrere EU-Informationssysteme abzufragen (European Search Portal). Weiter soll ein gemeinsames System eingeführt werden, welches anhand eines Abgleichs biometrischer Daten wie Fingerabdrücke und Gesichtsbild bestehende Datenbanken durchsuchen und einen Zusammenhang mit entsprechenden Informationen in anderen EU-Informationssystemen ermittelt (Multiple Identity Detector). Ein gemeinsamer Speicher für Identitätsdaten soll drittens dazu dienen, die Identität von Drittstaatsangehörigen bei der Erfassung biografischer und biometrischer Daten zuverlässig feststellen zu können (Common Identity Repository). Ausserdem soll eine Plattform erstellt werden, auf welcher biometrische Daten abgefragt und gleichzeitig verglichen werden, um Verbindungen zwischen Datensätzen und Identitäten festzustellen (Shared Biometric Matching System).
- Neufassung Eurodac-Verordnung (Eurodac III)
Die neue Eurodac-Verordnung sieht wesentliche technische Neuerung (z.B. Gesichtsbildabgleich) sowie eine beträchtliche Ausweitung der zu übermittelnden Daten von Asylgesuchstellern und sich illegal aufhaltenden Drittstaatsangehörigen vor. Die wesentlichste technische Veränderung in der Dublin-Verordnung ist die Schaffung eines neuen Verteilsystems für Asylsuchende. Der Verteilmechanismus wird aus heutiger Sicht in einem eigenen System, aber in enger Verknüpfung mit Eurodac aufgebaut werden.
- Neufassung VIS-Verordnung (VIS II)
Ziel ist es, das VIS, welches zur Speicherung und zum Austausch von Daten im Visumverfahren dient, mit den anderen grossen Informationssystemen der EU interoperabel zu machen und gleichzeitig die Qualität der Daten und deren Austausch zu verbessern. Überdies sollen inskünftig auch nationale Langzeitvisa und Aufenthaltstitel im VIS abgespeichert werden. Kopien der Reisedokumente von Visumantragstellern werden künftig ebenfalls in die VIS-Datenbank aufgenommen. Die neue VIS-Verordnung wird in der Schweiz erhebliche Auswirkungen auf die nationalen Informationssysteme ORBIS (Visa) und ZEMIS (zentrales Migrationssystem) haben.
- Neufassung API-Verordnung (API II)
Die Europäische Kommission KOM wird voraussichtlich bald den Entwurf einer neuen API-Richtlinie präsentieren. Erwartet wird eine grundlegende Neukonzeption des nationalen API Systems. Die KOM hat im Februar 2019 die Machbarkeitsstudie betreffend einen Centralised Routing Mechanism (CRM) für API-Daten veröffentlicht. Die Einführung eines CRM wird Auswirkungen auf die Datenformate und -Standards für die Übermittlung der Fluggastdaten haben und eine Anpassung der nationalen Schnittstelle erfordern.
- SIS-Weiterentwicklungen
Drei Verordnungen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des SIS-II-Systems wurden von der Europäischen Kommission verabschiedet. Eine davon regelt den Umgang mit Wegweisungsverfügungen, welche künftig im SIS registriert werden müssen (SIS-Wegweisung). Die zweite Weiterentwicklung betrifft die Nutzung des Systems an den Aussengrenzen und betrifft das SEM im Rahmen von Einreiseverboten (SIS-Grenze). Ein wichtiges Thema bei beiden Weiterentwicklungen ist die Lieferung von biometrischen Daten (Gesichtsbild, Fingerabdrücke) ans SIS. Die dritte Weiterentwicklung fällt in die Kompetenz des Bundesamts für Polizei (fedpol).
Letzte Änderung 09.04.2021