Im Umgang mit Sans Papiers stehen sich in der Politik zwei gegensätzliche Positionen gegenüber. Während eine Seite auf die Durchsetzung der Rechtsordnung und der restriktiven Zulassungsregeln setzen, verweist die andere Seite auf die Grundrechte jedes Menschen und auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Vorstösse für eine allgemeine Regularisierungen von Sans Papiers scheiterten bisher alle in der Schweiz. Es wurde darauf verwiesen, dass eine Regularisierung in schwerwiegenden persönlichen Einzelfällen grundsätzlich möglich sei. Einen eher pragmatischen Ansatz hat sich in der behördlichen Praxis durchgesetzt. Sans-Papiers verstossen zwar gegen das Gesetz, doch auch für sie gelten die Grundrechte. Innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen des Härtefallverfahrens steht den Behörden ein relativ weiter Ermessenspielraum offen. Daher variieren die Chancen für Sans Papiers für eine Aufenthaltsregelung von Kanton zu Kanton. Der Kanton Genf hat seit 2017 einen neuen Ansatz gewählt. Mit der «Opération Papyrus» eröffnete der Kanton Sans-Papiers, die seit vielen Jahren in der Schweiz leben, gut integriert und nicht vorbestraft sind, verbesserte Möglichkeit, ihren Aufenthalt zu regularisieren.
Um illegalen Aufenthalt zu verhindern, hat sich die Schweiz – wie übrigens auch die EU in ihrer gemeinschaftlichen Migrationspolitik – in erster Linie für restriktive Zulassungsregeln und ein repressives Vorgehen entschieden. Dieser ordnungspolitische Standpunkt ist insofern nachvollziehbar, als der Staat bemüht sein muss, die Rechtsordnung durchzusetzen. Im Gegensatz zu dieser Politikoption machen Kreise, welche die Situation der Sans-Papiers in den Vordergrund rücken, die Grundrechte und die Verhältnismässigkeit geltend. Sie befürworten einen pragmatischen Umgang mit der Problematik und verweisen auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung in Bezug auf die Anwesenheit von Sans-Papiers.
Beide Positionen sind in sich kohärent und legitim, aber zumindest auf den ersten Blick schwer miteinander vereinbar. Es darf daher nicht erstaunen, dass kaum jemand dazu bereit ist, Zugeständnisse an die Gegenpartei zu machen, zumal das Thema der Zuwanderung als Identität stiftendes Moment politisch aufgeladen ist. Offizielle Akteure und die Politik lassen sich häufig erst dann auf eine Diskussion ein, wenn dringender Handlungsbedarf besteht.
Während sich im Bereich der Politik unterschiedliche Positionen gegenüberstehen, wurden in der behördlichen Praxis im Umgang mit irregulärer Migration pragmatische Ansätze entwickelt. Sans-Papiers verstossen zwar gegen das Gesetz, indem sie sich ohne Aufenthaltsberechtigung im Land aufhalten und arbeiten. Doch auch für sie gelten die Grundrechte. Im Umgang mit Menschen ohne geregelten Aufenthalt stützen sich die Behörden einerseits auf bestehende gesetzliche Grundlagen, andererseits verfügen sie über einen relativ weiten Ermessensspielraum.
In den letzten zehn Jahren fand in der Öffentlichkeit eine Sensibilisierung statt. Zivilgesellschaftliche Institutionen nahmen sich der Problematik der Sans-Papiers an und erbrachten diverse Unterstützungsleistungen: Es entstanden Beratungs- und Anlaufstellen sowie Ärzte- und Solidaritätsnetze; Sans-Papiers-Kollektive wurden gegründet, und Gewerkschaften begannen, sich für die Anliegen dieser Bevölkerungsgruppe einzusetzen. Diesen Unterstützerkreisen ist es vielfach gelungen, mit den Behörden in Alltagsfragen auf pragmatische Lösungen hinzuarbeiten. So konnte beispielsweise dank den Bemühungen von Ärztinnen und Ärzten und Hilfswerken die gesundheitliche Grundversorgung von Sans-Papiers verbessert werden. Auf bildungspolitischer Ebene wurden diese Fragen ebenfalls diskutiert, was zum Grundsatz der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) führte, alle in der Schweiz lebenden Kinder diskriminierungsfrei in die obligatorische Schule zu integrieren.
EDK-Erklärung (Jahr 1991)
Anlaufstellen für Sans-Papiers in der deutschen Schweiz
Nach vertiefter Analyse der Regularisierungsaktionen in verschiedenen europäischen Ländern empfahl der Europarat seinen Mitgliederstaaten im Oktober 2007 in einer Resolution, die Frage der Regularisierung von Sans-Papiers samt Begleitmassnahmen zu prüfen.
Europarat-Empfehlung (nur auf Französisch)
Einen neuen Ansatz hat der Kanton Genf gewählt, der auch die grösste Dichte von Sans Papiers aufweist. Nach Schätzungen leben und arbeiten rund 13 000 im Kanton Genf. Mit der «Opération Papyrus», die seit Anfang 2017 läuft, will der Kanton die Situation von lang anwesenden und gut integrierten Migrantinnen und Migranten ohne gültige Aufenthaltspapiere «normalisieren». Die «Operation Papyrus» basiert auf dem geltenden Ausländerrecht. Ein Gesuch stellen kann, wer schon zehn Jahre ununterbrochen hier gelebt hat und dies dokumentieren kann (fünf Jahre im Fall von Familien mit Schulkindern), genügend integriert ist (Landessprache), nicht vorbestraft ist und einen guten finanziellen Leumund hat. Es handelt sich nicht um eine kollektive Regularisierung, wie sie Sans-Papiers-Organisationen seit langem fordern. Trotzdem betrat der Kanton mit diesem Projekt Neuland. Hunderten von Sans-Papiers eröffnet sich die Aussicht auf eine reguläre Aufenthaltsbewilligung. Anlaufstellen helfen Sans-Papiers, die Chancen und Risiken eines Härtefallgesuchs abzuwägen. Die Behörden prüfen die eingereichten Gesuche und erteilen mit der Zustimmungen des Bundes die Bewilligungen. Gleichzeitig verbessern flankierende Massnahmen die Situation in der Hauswirtschaft, indem die Kontrolle in der Hausarbeitsbranche intensivieren wurde. Zudem bietet der Kanton Genf besondere Integrationsmassnahmen für ehemalige Sans Papiers.
Letzte Änderung 20.06.2024