Initiative populaire "Pour que les pédophiles ne travaillent plus avec des enfants": déclaration de la conseillère fédérale Simonetta Sommaruga

Berne, 24.03.2014 - La parole prononcée fait foi.

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Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Medienschaffende,

Es gibt keinen Zweifel: Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, damit pädosexuelle Straftäter nicht noch einmal zuschlagen können. - Hinter diesem Ziel stehen wir alle, und zwar geschlossen - Befürworter und Gegner dieser Initiative.

Deshalb unterstützt der Bundesrat die Stossrichtung der Initiative. Trotzdem ist er gegen die Pädophilen-Initiative, hauptsächlich aus zwei Gründen: Erstens müssen wir uns an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit halten - gerade auch gegenüber Menschen, die besonders verwerfliche Taten begangen haben. Anders gesagt: Auch wenn wir pädokriminelle Taten für besonders abscheulich halten, dürfen wir zentrale Grundsätze unserer Rechtsordnung nicht über Bord werfen. Zweitens ist der Bundesrat gegen die Initiative, weil das Parlament vor kurzem wirksamere Massnahmen gegen pädokriminelle Straftäter beschlossen hat.

1. Verhältnismässigkeit

Das ist also die Haltung des Bundesrates, und ich möchte diese noch kurz etwas ausführen. Die Initiative trägt den Titel „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen". Sie fordert ein Verbot von beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten - lebenslang und ausnahmslos in jedem Fall, sobald ein Täter einen sexuellen Übergriff auf ein Kind oder eine abhängige Person begeht.

Auf den ersten Blick leuchtet das ein. Erst auf den zweiten Blick kommen Zweifel auf. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Stellen Sie sich vor, ein 20-jähriger Mann hat eine Freundin, die noch nicht 16 Jahre alt ist. Die beiden führen eine einvernehmliche Liebesbeziehung. Wenn die Behörden davon erfahren, kommt es zu einem Gerichtsverfahren und der junge Mann wird verurteilt. Wenn die Initiative angenommen wird, müsste das Gericht dem jungen Mann zwingend, automatisch und lebenslang verbieten, als Sozialarbeiter mit Jugendlichen zu arbeiten oder eine Juniorenmannschaft zu trainieren. Das heisst, der junge Mann, von dem nun gewiss keine Gefahr für Kinder ausgeht, müsste automatisch genau gleich behandelt werden wie ein gefährlicher pädosexueller Hochrisikotäter. Dasselbe würde einem jungen Maurer blühen, der auf der Baustelle dem neuen Lehrling, der noch nicht 16 Jahre alt ist, ein paar Sexvideos auf dem Handy zeigt. Auch das ist verboten. Nach dem Wortlaut der Initiative müsste das Gericht diesem jungen Maurer ebenfalls für den Rest seines Lebens verbieten, zum Beispiel selber einmal Lehrmeister zu werden.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass das zu weit geht. Diese jungen Männer dürfen nicht gleich behandelt werden wie etwa ein Pädokrimineller, der Kinder sexuell ausgebeutet hat. Die Initiative mit ihrem zwingenden und lebenslangen Tätigkeitsverbot verlangt aber genau das: Sie will, dass jede Sexualstraftat automatisch und zwingend genau gleich bestraft wird, ungeachtet der Schwere der Tat und ohne Rücksicht auf das, was genau vorgefallen ist. Würden wir dieses Prinzip im Strassenverkehr so anwenden, dann müssten wir jedem Autolenker, der zu schnell fährt, lebenslang den Führerausweis wegnehmen - egal ob er mit 55 Kilometern pro Stunde oder mit 120 durch ein Dorf fährt.

Mit diesem zwingenden Automatismus widerspricht die Initiative einem zentralen Grundwert unserer Gesellschaft: Alles, was der Staat tut, muss verhältnismässig sein. Der Staat greift nur so stark ein, wie dies nötig ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Und hier heisst das Ziel, Kinder und wehrlose Erwachsene vor einer Wiederholungstat zu schützen. Das ist der Kern des Prinzips der Verhältnismässigkeit, das wir in unserer Bundesverfassung verankert haben.

2. Ein Dilemma, das der Demokratie schadet

Die Initiative mit ihrem Automatismus verunmöglicht dieses rechtsstaatliche Vorgehen. Sie fordert ein endgültiges, lebenslanges Verbot für ausnahmslos alle Täter. Damit stellt uns die Initiative vor ein Dilemma, das wir, meine Damen und Herren, mittlerweile nur zu gut kennen: Sollen wir die Initiative wortgetreu umsetzen, das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzen und damit rechtliche Probleme in Kauf nehmen? Oder sollen wir sie mit Augenmass umsetzen, uns vom Wortlaut der Initiative entfernen und damit Erwartungen enttäuschen, welche die Initiative geweckt hat?

Der Bundesrat möchte ein solches Dilemma vermeiden. Denn letztlich ist das schädlich für die Demokratie und die Glaubwürdigkeit unserer Volksrechte. Wir kennen in der Schweiz kein Verfassungsgericht. Darum tragen wir alle die Verantwortung, sorgfältig mit unseren Grundrechten umzugehen. Das gilt für den Bundesrat und das Parlament bei der Umsetzung. Das gilt aber auch für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, wenn sie über eine neue Verfassungsbestimmung abstimmen, die den bestehenden Grundsätzen widerspricht. Diese demokratische Verantwortung müssen wir dann besonders sorgfältig wahrnehmen, wenn es um emotionale Themen geht wie den Schutz von Opfern und das Bestrafen von Tätern.

Ich bin mir bewusst, dass solche Initiativen seit einiger Zeit gute Chancen haben, angenommen zu werden. Das ist bei einem Thema wie diesem natürlich ganz besonders der Fall. Dennoch ist der Bundesrat, dennoch bin auch ich als Justizministerin der Meinung, dass wir uns nicht verleiten lassen sollten, das richterliche Ermessen mit Automatismen einzuschränken oder ganz auszuschalten.

3. Lücken der Initiative, Vorzüge der Gesetzesrevision

Der Bundesrat und das Parlament haben aber, ich habe es eingangs gesagt, das gleiche Ziel wie die Initianten. Wir wollen Kinder und wehrlose Erwachsene vor pädosexuellen Straftätern schützen. Bundesrat und Parlament haben auch bereits gehandelt und neue Bestimmungen im Strafrecht erlassen. Der Bundesrat hat diese übrigens in die Wege geleitet, bevor die Initiative lanciert wurde. Er brauchte keine Volksinitiative, um diese Arbeiten aufzunehmen.

Das neue Gesetz ist streng. Wie die Initiative sieht es ein lebenslanges Tätigkeitsverbot vor. Dieses lebenslange Verbot wird dann verhängt, wenn es nötig ist, um Menschen zu schützen. In anderen Fällen muss das Verbot nicht lebenslang sein. Das Tätigkeitsverbot dauert aber zum Beispiel zwingend zehn Jahre bei Sexualdelikten, für die ein Täter zu mehr als 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird. Fällt die Strafe tiefer aus, können die Gerichte ein kürzeres Verbot anordnen. Dabei können sie es so lange verlängern, wie es nötig ist, um mögliche Opfer zu schützen, also auch lebenslang.

Daneben bietet das neue Gesetz in zwei Punkten wirksameren Schutz als die Initiative:

  • Erstens ist das Tätigkeitsverbot nicht nur nach Sexualdelikten möglich, sondern generell nach allen Verbrechen und Vergehen. Das deckt alle Formen physischer und psychischer Misshandlung ab. Wir wollen Kinder nicht nur vor sexueller Gewalt, sondern vor jeder Form von Gewalt schützen. Die Initiative ihrerseits beschränkt sich ausschliesslich auf Sexualdelikte.
     
  • Zweitens sieht das neue Gesetz ein Kontakt- und Rayonverbot vor. Damit können wir Kinder nicht nur in der Schule oder im Sportverein besser schützen, sondern auch in der Familie und im Privatbereich. Wir können zum Beispiel Tätern verbieten, sich in der Nähe eines Schulhauses oder in einem Schwimmbad aufzuhalten. Das ist ein weiterer, wichtiger Unterschied zur Initiative. Denn vergessen wir nicht: Ein grosser Teil der Übergriffe findet innerhalb der Familie und im engen Bekanntenkreis statt. Wahrscheinlich sind es sogar die allermeisten Fälle. In all diesen Fällen nützt ein Tätigkeitsverbot, wie es die Initiative fordert, rein gar nichts. Ausgerechnet dort, wo das am nötigsten ist, bietet die Initiative nichts, um Kinder zu schützen.

Das Parlament hat diesem neuen Gesetz letzten Dezember zugestimmt. Die Referendumsfrist läuft am 6. April 2014 ab. Das heisst, das neue Gesetz kann am 1. Januar 2015 in Kraft treten. Ich werde das dem Bundesrat so beantragen.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass doch noch ein Komitee gegen diese Initiative zustande gekommen ist, nachdem das Parlament sich nicht zu einer Abstimmungsempfehlung durchringen konnte. Ich stelle fest, dass es in unseren Zeiten mehr Mut braucht als auch schon, den Rechtstaat auch dann zu verteidigen, wenn es unbequem ist. Diesen Mut dürfen wir nicht verlieren.

Ich danke Ihnen.


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