Zur Annahme der Volksinitative "Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen"

Bern, 18.05.2014 - Statement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der Medienkonferenz zur Abstimmung über die Volksinitiative. Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Stimmbürgerinnen und Stimmbürger

In einem Punkt waren sich alle - Befürworter und Gegner der Initiative - schon vor der Abstimmung einig: Wir wollen Kinder und wehrlose Erwachsene besser vor sexueller Gewalt schützen.

Das wird auch so sein: Denn Bundesrat und Parlament haben ja bereits vor dieser Abstimmung Massnahmen beschlossen, mit denen wir Kinder vor sexueller Gewalt, aber auch vor anderen Formen von Gewalt besser schützen können. Das neue Gesetz tritt am 1. Januar 2015 in Kraft, und daran ändert das heutige Abstimmungsresultat nichts.

Heute haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zusätzlich auch die Volksinitiative "Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen" angenommen. Der neue Verfassungstext sieht für das Tätigkeitsverbot keine Ausnahmen und keine Abstufungen vor. Das heisst: Er berücksichtigt weder die Schwere der Tat noch das Alter und die Motive des Täters. Der Wortlaut des neuen Verfassungsartikels verlangt, dass das Tätigkeitsverbot automatisch und in jedem Fall gelten und immer lebenslang sein soll, und zwar bei allen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität. Und dazu gehört auch die viel zitierte Jugendliebe, wenn also ein 20-Jähriger Sex hat mit seiner Freundin, die noch nicht 16 Jahre alt ist.

Dieser strikte Automatismus widerspricht dem Prinzip der Verhältnismässigkeit, wie es in unserer Bundesverfassung verankert ist. Darauf hat der Bundesrat bereits in der Botschaft hingewiesen, es war auch ein Thema in der parlamentarischen Beratung und in den öffentlichen Debatten vor der Abstimmung.

Für die Umsetzung dieser neuen Verfassungsbestimmung stehen wir jetzt also vor einem Dilemma, nämlich dass eine Verfassungsbestimmung angenommen wurde, die einer anderen Verfassungsbestimmung widerspricht.

Non importa come il Consiglio federale e il Parlamento metteranno in atto la nuova disposizione costituzionale: sarà impossibile farlo senza violare la Costituzione.
Questo mi preoccupa.

In termini concreti, abbiamo due possibilità:

  • Ci conformiamo al nuovo testo costituzionale, mettendo in conto ingerenze sproporzionate nella libertà di alcune persone. Questo significa accettare di violare il principio costituzionale della proporzionalità.
  • Oppure, come propongono addirittura alcuni promotori dell'iniziativa, prevediamo delle eccezioni, scostandoci quindi della nuova disposizione costituzionale. Questo significherebbe ledere lo spirito della democrazia diretta.

Ich kann heute nicht vorwegnehmen, wie der Bundesrat und später auch das Parlament mit diesem Dilemma umgehen werden. Wichtig ist, dass wir diese Frage rasch klären und für Klarheit sorgen.

Ich habe deshalb dem Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben, umgehend mit den Arbeiten zu beginnen. Mein Ziel ist es, dem Bundesrat die Vernehmlassungsvorlage noch in diesem Jahr vorzulegen. Unabhängig davon tritt das bereits beschlossene Gesetz aber, wie gesagt, am 1. Januar 2015 in Kraft und kann so angewendet werden, bis die nötigen Anpassungen beschlossen sind.

Mesdames et Messieurs,
Les discussions de ces derniers mois et dernières semaines ont montré clairement deux choses:

  • D'abord, nous sommes tous d'accord que nous devons mieux protéger les enfants contre la violence sexuelle. Mais il y une chose que nous ne devons pas oublier : les agressions sexuelles contre des enfants ne peuvent être évitées que si tout le monde fait preuve de vigilance : parents, amis, entourage, enseignants, autorités de surveillance. C'est un état d'esprit que nous devons cultiver chaque jour, et qu'une loi ne peut réglementer.
  • Deuxièmement, j'ai constaté que l'attention que nous devons porter aux valeurs fondamentales de notre Constitution, comme le principe de la proportionnalité, a également donné lieu à de nombreuses discussions. Ces valeurs fondamentales sont pour nous tous une protection: elles nous protègent de l'arbitraire, des jugements sommaires, de la stigmatisation et des atteintes disproportionnées à notre liberté personnelle.

Wenn es um so wichtige Rechtsgüter geht wie den Schutz der Schwächsten auf der einen Seite und die persönliche Freiheit auf der anderen Seite - dann gehört das sorgfältige Abwägen zu den wichtigsten, aber auch zu den anspruchsvollsten Aufgaben für die Stimmbevölkerung. Und insofern ist die direkte Demokratie nicht nur ein Recht - ein Recht, das uns allen kostbar ist -, sondern auch eine grosse Verantwortung.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


Adresse für Rückfragen

Kommunikationsdienst EJPD, T +41 58 462 18 18



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Letzte Änderung 19.01.2023

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