Interview, 21. Juni 2021: Basler Zeitung; Kurt Tschan
Frau Bundesrätin, was haben Sie aus Ihrer Zeit als Baloise-Verwaltungsrätin in den Bundesrat mitgenommen?
Für meine berufliche Weiterentwicklung war es ein wertvolles Puzzleteil nach zwölf Jahren in der St. Galler Regierung und neben meiner Tätigkeit im Ständerat. Für die Arbeit im Bundesrat ist es wichtig, verschiedene berufliche Erfahrungen einbringen zu können. Bei der Baloise wurde mein Blick für die Privatwirtschaft geschärft. Über das gewerbliche Wissen verfügte ich bereits. Das habe ich als Wirtetochter gewissermassen mit der Muttermilch aufgesogen.
Arbeiten Sie mit den beiden Basel gleich zusammen, oder gibt es Unterschiede?
Unterschiede gibt es nicht. Mein Departement arbeitet eng mit allen Kantonen zusammen. Sie sind die Träger der inneren Sicherheit, auch im Asylwesen gibt es eine Zusammenarbeit. Zu erwähnen wäre, dass der Kommandant der Baselbieter Polizei, Mark Burkhard, ohne ck-dt …
… ausgesprochen als gg...
... exakt (lacht). Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten ist. Allerdings hat er in seiner Funktion mehr mit dem Bundesamt für Polizei zu tun, ich dafür umso mehr mit den beiden Polizeidirektorinnen.
Wie speziell ist es, dass die beiden Basel gleich zwei Politikerinnen in dieser Funktion stellen?
Die Geschlechterfrage ist heute kein Thema mehr. Als ich im Jahr 2000 in die Regierung des Kantons St. Gallen gewählt wurde und – wie soll ich das jetzt charmant sagen – das Polizeiund Justizdepartement zugeteilt erhielt …
... gilt diese Formulierung auch für die Zuteilung Ihres Departementes nach der Wahl in den Bundesrat?
Ja, so kann man es formulieren. (lacht) Anders als heute gab es im Jahr 2000 aber noch weniger Frauen beim Thema Justiz und Polizei. Stephanie Eymann lernte ich kürzlich an der Föderalismuskonferenz in Basel kennen. Im Vorfeld kam es zu einem Treffen mit der basel-städtischen Regierung.
Speziell an Baselland dürfte aber sein, dass sich neu zwei Staatsanwältinnen die Arbeit der Ersten Staatsanwältin teilen. Ihre Meinung zu diesem Modell?
Das ist ein Entscheid der Baselbieter Regierung. Es gibt heute verschiedene moderne Arbeitsmodelle, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie begünstigen. Wichtig ist aber, dass diese Arbeitsformen auch für den Arbeitgeber stimmen. An der Spitze der Ämter in meinem Departement kennen wir solche Modelle beispielsweise nicht. Eine Lösung wie in der Baselbieter Staatsanwaltschaft würde beim Staatssekretariat für Migration mit 1300 Mitarbeitenden nicht funktionieren. Eine Staatssekretärin oder einen Staatssekretär im Jobsharing kann ich mir eher nicht vorstellen.
Wo drückt aus Ihren Erfahrungen in Grenzregionen wie Basel der Schuh?
Wichtig ist ein gut funktionierender Agglomerationsverkehr über die Grenze hinweg. Hier ist Basel Vorreiter. Im Rheintal gibt es erst jetzt die ersten Agglomerationsprogramme mit dem Vorarlberg. Mein Departement ist für die Personenfreizügigkeit zuständig. In diesen Regionen ist man stark auf Grenzgänger angewiesen, gerade im Gesundheitswesen. Das haben wir während der Corona-Krise gesehen. Sie mussten die Grenze trotz der faktischen Grenzschliessung ungehindert passieren und ihrer Arbeit nachgehen können. Es war aber nötig, die Mobilität einzuschränken und damit auch die Verbreitung des Virus. Rückblickend war das ganz klar keine gute Erfahrung. Die Grenzschliessungen lösten auch eine riesige Bürokratie aus. Wir haben während dieser Zeit die Personenfreizügigkeit und mit wenigen Ausnahmen das Schengen-Abkommen ausgesetzt. Ich wünsche mir diese Zeit wirklich nicht zurück.
Droht dem Austausch mit den Nachbarregionen wegen der grossen hängigen Fragen in den Beziehungen der Schweiz zur EU Gefahr?
Es braucht beides: den Marktzugang, aber auch die regionale Zusammenarbeit, die ja gut funktioniert. Die Grenzregionen sollen Botschafter in ihren Hauptstädten sein. In der Schweiz sind die Wege kurz. Da kann man schnell Botschafter von Basel in Bern sein. Der Wert der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit soll aber auch vom Elsass, von Baden-Württemberg, Bayern und dem Vorarlberg zu den Zentralregierungen in Paris, Berlin und Wien getragen werden. Fern jeder Theorie und Dogmatik findet in Grenzregionen glücklicherweise jeden Tag ein Miteinander statt.
Wo orten Sie noch Verbesserungspotenzial?
Offene Punkte gibt es zum Beispiel bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Frankreich. Ein Basler Polizist kann zwar einen Flüchtenden über die Grenze verfolgen, ihn aber nicht selber anhalten. Selbst die französischen Banden, die in der Romandie Bancomaten gesprengt hatten, konnten nicht gestoppt werden. Mit dem französischen Innenminister habe ich vor drei Wochen in Paris das Problem besprochen. Ich bin jetzt zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden.
Wie wollen Sie nach dem Scheitern des Rahmenabkommens die bilateralen Verträge à jour halten?
Der Bundesrat hat zwar die Verhandlungen beendet, aber die bilateralen Verträge haben wir weiterhin. Der Bundesrat will diese nun stabilisieren. Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Das EDA hat den Auftrag, einen politischen Dialog mit Brüssel einzuleiten. Das EJPD evaluiert die rechtlichen Unterschiede zwischen dem EU-Recht und der schweizerischen Rechtsordnung. Die Bilateralen I sind statisch gehalten, Anpassungen setzen also Verhandlungen voraus. Wir klären nun ab, wo es solche Anpassungen nicht gegeben hat und wo es im Interesse der Schweiz liegt, diese eigenständig zu machen. Und zwar ohne den Druck von Verhandlungen und ohne dynamische Rechtsübernahme, dafür aber im Einvernehmen mit den Kantonen und den Sozialpartnern. Das Bundesamt für Justiz als Querschnittsamt prüft im Moment diese Regelungsunterschiede.
Warum ist dies so wichtig?
Die Bilateralen I stammen aus dem Jahr 1999. Wir müssen jetzt einfach wissen: Was wurde übernommen? Wo sind die Lücken? Und vor allem: Wo liegt es in unserem Interesse, Anpassungen autonom vorzunehmen?
Welche Reaktionen haben Sie nach dem Scheitern des Rahmenabkommens aus der EU erreicht?
Ich habe am 8. Juni in Luxemburg am Ratstreffen der EU-Justiz- und -Innenminister teilgenommen. Als voll assoziiertes Mitglied von Schengen-Dublin haben wir ständigen Zugang zu diesem EU-Ministertreffen. Das Verhältnis zu den Fachministern ist weiterhin absolut entspannt. Ich wurde auf das Rahmenabkommen gar nicht erst angesprochen. Ich habe es jeweils selbst zur Sprache gebracht. Es ist wie in den Grenzregionen: Dort, wo man an konkreten Themen arbeitet, ist das Verhältnis absolut unproblematisch. Die Schweiz wird als assoziierter Schengen-Dublin-Staat sehr geschätzt. Mit meinem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin habe ich mich am 25. Mai in Paris unterhalten, um sicherzustellen, dass wir bei Schengen-Dublin jeweils in die Arbeiten einbezogen werden.
Braucht es nach dem Scheitern des Rahmenabkommens bei Schengen-Dublin Anpassungen?
Das hat nichts miteinander zu tun. Entscheidend für Schengen-Dublin ist die Personenfreizügigkeit. Nach dem Nein zur Begrenzungsinitiative gilt diese weiterhin. Mitten in Europa, wo die Schweiz nun mal liegt, wäre ein Ende der Personenfreizügigkeit im Sicherheitsbereich der Super-GAU. Das Schengener Informationssystem wird in der Schweiz täglich 300’000-mal abgefragt. Zehn Prozent der Mobilität in Europa wird über die Schweiz mit Transit- und Grenzgängerverkehr abgewickelt.
Sie wissen, dass Basel anders tickt. Welche Reaktionen auf das Scheitern des Rahmenabkommens erwarten Sie bei Ihrem Auftritt in Basel?
Ich denke, dass sich der Pulverdampf bereits etwas gelegt hat. Es tut allen gut, erst einmal durchzuatmen. Der Bundesrat hat kommuniziert, wie er vorgehen wird, um den bilateralen Weg zu stabilisieren. Ich habe Verständnis für die Enttäuschung. Aber die Verhandlungen befanden sich nach sieben Jahren in einer Sackgasse. Bis jetzt ist es vielleicht zu wenig gut gelungen zu erklären, was überhaupt passiert ist. Es ist die Aufgabe aller Bundesräte, den Entscheid zu vermitteln. Darum ist es gut, dass man wieder an Veranstaltungen und unter die Leute gehen kann.
Welche Aufgabe kommt den Grenzregionen nach dem Scheitern des Rahmenabkommens zu?
Die Grenzregionen sollen weiterhin aufzeigen, wie wichtig der Austausch und das Miteinander sind. Sie sollen ihre Kontakte nicht nur pflegen, sondern intensivieren. Die Schweiz bleibt für Europa ein wichtiger Arbeitgeber. Wir haben jeden Tag 340’000 Grenzgänger, gesamthaft leben und arbeiten 1,5 Millionen EU-Bürger in der Schweiz. Das sorgt immer wieder für Erstaunen, wenn wir das den Leuten in der EU sagen.
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Letzte Änderung 21.06.2021