"Wir haben neue Rechte geschaffen, keine Pflichten"

Migros-Magazin, Yvette Hettinger
Migros-Magazin: "Ab dem 1. Januar hat die Schweiz ein neues Erwachsenenschutzrecht. Es regelt unter anderem den Vorsorgeauftrag und die Patientenverfügung schweizweit einheitlich. Justizministerin Simonetta Sommaruga erklärt, welche Vorteile sie im neuen Gesetz sieht."

Bundesrätin Simonetta Sommaruga, es war schon immer möglich, mit einer Patientenverfügung oder einer Vollmacht festzulegen, wie medizinische und rechtliche Fragen geregelt werden, falls ich urteilsunfähig werde. Warum brauchen wir dafür ein Gesetz?
Es geht um eine Frage, die viele von uns beschäftigt: Wer trifft wichtige finanzielle, rechtliche und medizinische Entscheidungen, wenn wir selber nicht mehr dazu in der Lage sind? Mit dem neuen Recht kann man das nun verbindlich festhalten. Ärzte und Behörden müssen sich an die Weisungen halten. Die Menschen werden immer älter, die Medizin kann immer mehr, viele Menschen sind heute allein stehend. Das bisher geltende Recht stammt aus dem Jahr 1912, und es ist mir ein Anliegen, dass Gesetze der Realität angepasst werden.

Ist es Ihr Ziel, dass jeder Schweizer eine Patientenverfügung und einen Vorsorgeauftrag erstellt?
Ich finde, es lohnt sich, darüber nachzudenken, wer für einen Rechts- und Finanzgeschäfte tätigt, wenn man das selber nicht mehr kann, und welche medizinische Behandlung man in einem solchen Fall wünscht. Jeder kann, niemand muss.

Über Demenz oder böse Unfälle denkt niemand gerne nach. Wie wollen Sie die Schweizer dazu motivieren, es doch zu tun?
Wir alle hoffen natürlich, dass wir vor schlimmen Krankheiten und schweren Verletzungen verschont bleiben .Aber ich stelle ein grosses Bedürfnis nach Selbstbestimmung fest: Die einen möchten vielleicht jedes mögliche Detail regeln, anderen genügt es, eine einzige Person zu bestimmen, die sich um alles kümmert, wenn man das selbst nicht mehr kann. Das sollte man in Ruhe mit Verwandten und Freunden besprechen. Übrigens können die Verfügungen jederzeit widerrufen oder geändert werden.

Über das Erwachsenenschutzrecht gab es kaum Kontroversen. Interessiert es einfach niemanden?
Nicht jedes neue Gesetz muss unbedingt Widerstand hervorrufen. Wir haben neue Rechte geschaffen, keine Pflichten, dagegen gab es keine Einwände.

Wenn in der Patientenverfügung steht, dass ich bei einem Herzstillstand keine Wiederbelebungsmassnahmen wünsche, wird mich tatsächlich ein Arzt sterben lassen?
Wenn er von der Verfügung Kenntnis hat, ja. Bislang war das eher unsicher, weil Ärzte gesetzlich nicht verpflichtet waren, nach einer Patientenverfügung zu handeln. Hier herrscht nun mehr Klarheit.

Was, wenn jemand keines der beiden Papiere erstellt? Ist das nicht eine Carte Blanche für Rechtsanwälte, Ärzte, Organspendeorganisationen?
Im Gegenteil. Das Gesetz regelt jetzt klar, wer in einem solchen Fall den mutmasslichen Willen und die Interessen der betroffenen Person vertritt: Im Rechtsverkehr die Ehegattin oder der Ehegatte, in medizinischen Angelegenheiten zuerst ein allfälliger Beistand, bei verheirateten Paaren dann der Ehegatte oder die Ehegattin, bei unverheirateten die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner, dann die Nachkommen, die Eltern oder die Geschwister. Auch die Aufgaben der neu geschaffenen Erwachsenenschutzbehörde, welche die bisherige Vormundschaftsbehörde ersetzt, sind klar geregelt.

Haben Sie persönlich Ihre Wünsche und Weisungen festgehalten?
Eine Patientenverfügung habe ich vor vielen Jahren ausgefüllt. Mit dem Vorsorgeauftrag werde ich mich jetzt sehr genau auseinandersetzen.

Letzte Änderung 31.12.2012

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