Ein Gespräch über Löhne, Prostituierte, Asylbewerber & Kürbisse

SonntagsBlick, Nico Menzato und Marcel Odermatt
Sonntags Blick: "SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga will gleiche Löhne für Frau und Mann notfalls per Gesetz durchsetzen. Sie fordert einen staatlich finanzierten Elternurlaub. Den Entscheid von Teilen der SP, das Referendum gegen ihre Asyl-Verschärfungen zu ergreifen, stellt sie kritisch in Frage."

Gestern Samstag, 10 Uhr, Bärenplatz in Bern: Bundesrätin Simonetta Sommaruga (52) schlendert von Marktstand zu Marktstand, mustert da frisches Gemüse, dort knackige Früchte – auf biologische Herkunft legt sie bei ihrem Wochenend-Einkauf Wert. SonntagsBlick darf dabei ein paar Bilder machen – zum Interview empfing sie uns am Tag davor in ihrem Büro im Justizdepartement.

Frau Bundesrätin, Sie sind am 1. November seit zwei Jahren im Amt. Wie gefällt es Ihnen?
Sehr gut! Ich kann meine Leidenschaft voll ausleben: Politik machen und die Schweiz mitgestalten.

Das Justizdepartement war nicht Ihr Wunsch. Im Gegenteil.
Als Justizministerin befasse ich mich mit vielen Fragen, die mir persönlich sehr wichtig sind und das Zusammenleben der Menschen in unserem Land betreffen: Ehe und Partnerschaft, frauenspezifische Themen, Umgang mit Gewalt, Sterbehilfe und Migration.

Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Ich bin viel unterwegs, die Agenda ist stets voll. Umso wichtiger ist es mir, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Samstags gehe ich zum Beispiel nach wie vor gerne auf dem Märit einkaufen.

Was ist in den zwei Amtsjahren nicht nach Ihrem Gusto gelaufen?
Was mich sehr stört: Frauen und Männer müssen für die gleiche Arbeit endlich gleich viel verdienen. Das ist in der Schweiz nach wie vor nicht der Fall. Das ist ein Skandal. Insbesondere, weil die Lohnschere in den letzten Jahren weiter auf- statt zuging.

Wie wollen Sie Lohngleichheit erreichen?
Die Wirtschaft hat noch bis 2014 Zeit, mit freiwilligen Massnahmen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu bezahlen. Wenn das bis dann nicht gelingt, muss es der Gesetzgeber durchsetzen.

Wie kann er dies durchsetzen? Fehlbare Firmen büssen?
Ich zähle auf die Eigenverantwortung der Unternehmen.

Eine grosse Baustelle ist das Asylwesen. Jetzt haben Politiker aus Ihrer eigenen Partei gegen die dringlichen Asylverschärfungen, die das Parlament in der Herbstsession beschlossen hat, das Referendum ergriffen. Haben Sie Verständnis dafür?
In allen Parteien – auch in der SP – herrscht Einigkeit darüber, dass die Asylverfahren beschleunigt werden müssen. Einige der beschlossenen Massnahmen helfen, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb hat sie auch der Bundesrat unterstützt. Nun stellt sich die Frage: Ist es geschickt oder hinderlich, diesen Weg mit einem Referendum zu gefährden? Das muss die Partei nun diskutieren und entscheiden.

Linke kritisieren auch die "menschenverachtenden" Zwangsausschaffungen. Können Sie es verantworten, dass Menschen an Händen und Füssen gefesselt, aus dem Land spediert werden?
Ich war vor kurzem selber bei einer Ausschaffung dabei. In ein afrikanisches Land. Ich begleitete die Menschen, die ausgeschafft wurden, von ihrer Ankunft am Flughafen bis zu ihrem Abflug. Es war für alle sehr belastend. Für die Menschen, die das Land verlassen mussten und für die Polizisten.

Aber Sie können guten Gewissens hinter solchen Ausschaffungen stehen?
Ich würde alles dafür tun, dass es diese Zwangsausschaffungen nicht braucht. Als letzte Möglichkeit stehe ich aber dahinter. Die Schweiz ist im Übrigen eines der einzigen Länder, das unabhängige Beobachter auf den Flügen zulässt.

In der Schweiz werden gemessen an der Bevölkerung überproportional viele Asylgesuche gestellt. Ist die Schweiz zu attraktiv?
Wir sind ein wohlhabendes Land, haben wenige Arbeitslose. Deshalb sind wir auch für Menschen, die "nur" eine Arbeit suchen, sehr attraktiv. Und vergessen wir nicht: Die Schweiz hat die rechtliche Verpflichtung, jedes Asylgesuch zu prüfen.

Arbeitslosigkeit ist aber kein Asylgrund.
Das ist richtig. Deshalb ist die Beschleunigung der Asylverfahren auch so wichtig: Asylbewerberinnen und -bewerber sollen möglichst schnell wissen, ob sie Anrecht auf Asyl haben oder nicht. Die 48-Stunden-Verfahren bei Asylgesuchen aus sicheren, visumsbefreiten Staaten zum Beispiel sind europaweit zum Vorbild geworden. Unser Ziel muss sein: Flüchtlingen Schutz zu bieten, aber auch konsequent gegenüber all jenen zu sein, welche die Bedingungen für den Asylstatus nicht erfüllen.

Ist die Schweiz da konsequent?
Ja. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Seit dem Arabischen Frühling sind über 4000 Tunesier in die Schweiz gereist. Aktuell sind nur noch 537 Tunesier im Asylverfahren.

Sind Sie sicher, dass die Tunesier das Land tatsächlich verlassen haben? Sind nicht viele untergetaucht?
Wir können nicht ausschliessen, dass ein Teil untergetaucht ist.

Das Parlament verlangt auch, dass renitente Asylbewerber in Zentren zusammengefasst werden. Wo sind die geplant?
Das klärt man zurzeit noch ab. Zwar waren sich alle einig, dass es solche Zentren braucht. Nun, wo es darum geht, einen Standort zu finden, halten sich die Kantone zurück.

Das heisst?
Bis heute hat sich noch kein Kanton bereit erklärt, ein solches Zentrum einzurichten.

Ärgert Sie das?
Nein, aber es zeigt, wie schwierig die Situation im Asylwesen ist.

Nicht nur mit Asylbewerbern, auch bei anderen Themen studieren Sie nicht nur Akten, sondern suchen das Gespräch mit den von Ihren Gesetzen betroffenen Menschen. Wieso?
Weil ich die Gesetze für die Menschen machen will. Um gute politische Lösungen zu finden, muss ich zu den Menschen gehen. Mit ihnen sprechen. Zuhören. Wenn ich Fragen des Strafrechts behandle, spreche ich mit den Opfern, gehe aber auch in Gefängnisse, spreche mit den Tätern und den Wärtern. Das ist meine Art zu arbeiten.

Auch eine Prosituierte haben Sie besucht.
Ja. Das war eine sehr eindrückliche und auch erschütternde Begegnung. Die Frau lebt, arbeitet und schläft in einem kaum zehn Quadratmeter kleinen Zimmerchen. Teilt eine Herdplatte mit vier anderen Frauen. Spricht kein Wort Deutsch, kennt niemanden. Oft sind solche Frauen jenen, die sie hierher verschleppt haben, vollkommen ausgeliefert.

Sie wollen den Menschenhandel mit einem Aktionsplan bekämpfen. Wieso nicht Prostitution verbieten? Und Freier bestrafen, wie in nordeuropäischen Ländern?
Nicht jede Prostituierte ist Opfer von Menschenhandel. Und ob mit einem Verbot der Menschenhandel tatsächlich unterbunden werden kann, ist fraglich. Menschenhandel gibt es auch in jenen Ländern, in denen Prostitution verboten ist.

Aber offensichtlich weniger.
Diese Diskussion muss in der Schweiz geführt werden. Jetzt geht es mir aber zuallererst mal darum, die Opfer von Menschenhandel besser zu schützen. Wichtig ist auch, dass nun Freier von Minderjährigen bestraft werden. Das Parlament wird dieses Gesetz demnächst beraten.

In der letzten Session haben Sie durchgebracht, dass getrennte Eltern künftig gemeinsam das Sorgerecht wahrnehmen müssen. Nun herrscht Verwirrung um den "Zügelartikel". Darf ein Elternteil künftig dem anderen verbieten, zu zügeln?
Nein. Niemand wird dem Ex-Partner verbieten können, wegzuziehen. Aber ein Wegzug eines Elternteils kann Folgen haben.

Machen Sie ein Beispiel!
Ein Vater betreut drei Nachmittage sein Kind. Nun will er wegziehen und kann diese Nachmittage nicht mehr übernehmen. Das hat Konsequenzen für die Mutter. Dann müssen die Eltern regeln, was dieser Wegzug bezüglich Betreuung, Besuchsregelung und auch bezüglich Kosten bedeutet. Und ob dies angepasst werden muss. Nur wenn sie sich nicht einigen, entscheidet die Kindesschutzbehörde. Im Zentrum soll immer das Wohl des Kindes stehen.

Konfliktpotenzial hat auch die Regelung, dass getrennte Eltern gemeinsam wichtige Dinge entscheiden müssen. Wie soll das konkret gehen, wenn die Eltern zerstritten sind?
Das Gesetz kann Eltern, die sich spinnefeind sind, nicht versöhnen. Aber es soll sie daran erinnern, dass es ihr gemeinsames Kind ist. Deshalb kann und soll man verlangen, dass sie wichtige Entscheide gemeinsam fällen. Und sonst springt die Kindesschutzbehörde ein. Wichtige Entscheide sind etwa, auf welche Schule das Kind geht oder ob es Spitzensport betreibt. Entscheide also, die das Leben des Kindes prägen.

Väter haben nun also mehr Rechte und Pflichten bei der Kindsbetreuung. Wann bekommen sie einen Vaterschaftsurlaub?
Ein Kind, das auf die Welt kommt, ist etwas Einmaliges. Ich höre von vielen Vätern, dass sie mehr Zeit mit dem Baby haben möchten. Väter leiden darunter, wenn sie dies verpasst haben. Die Schweiz braucht einen Elternurlaub. Das Innendepartement wird dem Bundesrat im nächsten Jahr konkrete Vorschläge unterbreiten. Klar ist: Die Wirtschaft kommt für eine Zeit gut ohne die frischgebackenen Mütter aus. Wieso also nicht auch ohne die Väter?

Letzte Änderung 29.10.2012

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