Referat von Direktor Heinrich Koller, Bundesamt für Justiz

Es gilt das gesprochene Wort

Zusammenfassung

Nach dem Willen der Initiantinnen soll eine Überprüfung, ob eine lebenslange Verwahrung im Einzelfall weiterhin gerechtfertigt ist, nur noch unter höchst einschränkenden Voraussetzungen möglich sein. Dies könnte dazu führen, dass ein Täter nicht aus der Verwahrung entlassen werden kann, obwohl er nachweislich nicht mehr gefährlich ist. Der "Nullrisiko"-Ansatz der Initiative verkommt damit zum "Nullchancen"-Modell, wofür es in einem Rechtsstaat keinen Platz hat.

Die Initiative schliesst eine periodische Überprüfung der Verwahrung nicht ausdrücklich aus. Sie ist deshalb durch eine sehr weite Auslegung ihres Wortlautes mit der EMRK vereinbar.

Im Falle einer Annahme der Initiative müsste eine zweite Form der Verwahrung im Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Diese Gesetzesbestimmung müsste die Vorgaben des neuen Verfassungsartikels umsetzen und zugleich dem übergeordneten Völkerrecht Rechnung tragen.

Referat

Sehr geehrte Damen und Herren

Meine Vorredner haben bereits zahlreiche Einwände gegen die Initiative vorgebracht und die Vorteile des neuen Strafgesetzbuches aufgezeigt. Ich möchte mich daher auf einen ganz speziellen Einwand gegen die Initiative konzentrieren, der mir besonderes am Herzen liegt.

Nach Artikel 5 Ziffer 4 EMRK besteht ein Anspruch auf wiederholte gerichtliche Haftüberprüfung immer dann, wenn der Freiheitsentzug auch von persönlichen Eigenschaften (z.B. Geisteskrankheit, Alkoholismus oder Drogensucht) oder sonstigen veränderbaren Umständen abhängig ist. Das gleiche gilt, wenn neue Umstände die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs nachträglich in Frage zu stellen vermögen oder wenn sich nach dem gerichtlichen Entscheid neue, die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs betreffende Fragen stellen. Derselbe Grundsatz wurde in Artikel 31 der Bundesverfassung aufgenommen.

Nach dem Willen der Initiantinnen und Initianten soll nun aber eine Überprüfung, ob die ausgesprochene lebenslange Verwahrung im Einzelfall weiterhin gerechtfertigt ist, künftig nur noch unter höchst einschränkenden Voraussetzungen zugelassen werden. Damit besteht die Gefahr, dass ein solcher Täter nicht mehr nur eingesperrt, sondern geradezu weggesperrt wird. Das könnte zum äusserst stossenden Ergebnis führen, dass ein Täter nicht aus der Verwahrung entlassen werden darf, obgleich er nachweislich nicht mehr gefährlich ist, beispielsweise wegen seines fortgeschrittenen Alters, weil er körperlich schwer krank und dadurch handlungsunfähig ist, oder weil er in einer gesicherten Einrichtung behandelt werden könnte.

Der "Nullrisiko"-Ansatz der Initiative verkommt dann aber schnell zum "Nullchancen"-Modell. In unserem Rechtsstaat, in dem sich der Strafvollzug am Grundsatz der Menschenwürde orientiert, gibt es aber keinen Platz für ein Nullchancen-Denken. Es ist legitim, ja nötig, einen gefährlichen Schwerbrecher zum Schutz der Gesellschaft so lange wie nötig zu verwahren. Ihm aber von vorneherein jede Möglichkeit einer Änderung und damit seiner Freilassung abzusprechen, verletzt seine Menschenwürde.

Der Bundesrat hat bis heute immer die Meinung vertreten, die Initiative sei EMRK-konform auslegbar: Zum einen schliesst sie eine periodische Überprüfung der Verwahrung nicht ausdrücklich aus. Zum anderen lässt sich der Wortlaut der Initiative durch eine sehr weite Auslegung mit der EMRK vereinbaren.
Der Bundesrat hat jedoch bereits in seiner Botschaft zuhanden des Parlamentes klar hervorgehoben, dass diese sehr weite Auslegung den Absichten der Initiantinnen und Initianten widersprechen dürfte. Dies führt zum Ergebnis, dass wir eine Volksinitiative haben, die etwas verspricht, was sie nicht halten kann.
Bei Annahme der Initiative werden wir voraussichtlich einen Gesetzesentwurf vorbereiten müssen, mit dem eine zweite Form der Verwahrung in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird. Diese Verwahrung wird einerseits die Vorgaben des neuen Verfassungsartikels aufnehmen, andererseits aber auch dem übergeordneten Völkerrecht Rechnung tragen müssen.

Letzte Änderung 19.01.2004

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