Referat von BJ-Direktor Michael Leupold

Bern. Medienkonferenz vom 21. Oktober 2008

Sehr geehrte Damen und Herren

Das Institut der strafrechtlichen Verjährung ist in den meisten Rechtsordnungen vorgesehen. Die Lehre führt dafür eine Reihe von Begründungen an, so namentlich das mit der Zeit schwindende Repressions- und Vergeltungsbedürfnis. Als Sinn der Verjährung wird ferner der Ansporn der Strafverfolgungsbehörden zu raschem Handeln genannt. Insbesondere sprechen auch praktische Gründe für Verjährungsfristen. Je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Tat und der Eröffnung des Strafverfahrens verstreicht, desto schwieriger sind die Beweiserhebung und die Aufklärung des Sachverhalts, was die Gefahr von Fehlurteilen erhöht.

Im Gegensatz zum dauerhaften Grundsatz der Verjährung sind die konkreten Verjährungsfristen vom Zeitgeist beeinflusst. Lassen Sie mich am Beispiel der Verjährungsfristen bei Sexualdelikten an Kindern rund zwei Jahrzehnte zurückblenden:

Im Jahr 1985 schlug der Bundesrat in seiner Botschaft zur Revision des Sexualstrafrechts vor, im Interesse des Opfers die Verjährungsfrist von zehn auf zwei Jahre zu verkürzen und damit den Erfahrungen von Psychologen und Psychiatern Rechnung zu tragen. „Es soll vermieden werden, dass ein Opfer, das sein seelisches Gleichgewicht zurückerlangt hat, darin durch Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen erneut erschüttert wird. Auch die in dieser Materie besonders heikle Beweiserhebung profitiert von einer kurzen Verjährungsfrist“, unterstrich der Bundesrat. Das Parlament widersetzte sich allerdings einer derart drastischen Verkürzung der Verjährungsfrist. „Psychiater vergessen gelegentlich, dass es neben … der Rücksicht auf das Opfer auch noch den Strafverfolgungsanspruch des Staates gibt und die Sühne des Täters“, wurde etwa argumentiert. Im Verlauf der Beratungen entschied sich das Parlament schliesslich für eine fünfjährige Verjährungsfrist.

Schon kurz nach Inkrafttreten des neuen Sexualstrafrechts im Jahr 1992 fand allerdings aufgrund spektakulärer Fälle von Kindesmissbrauch und des zunehmend als problematisch empfundenen Sextourismus ein Meinungsumschwung statt. Die Frage der Verjährung bei Sexualdelikten an Kindern wurde in einer Reihe von parlamentarischen Vorstössen wieder aufgegriffen.

Im Jahr 1996 bezeichnete die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die Herabsetzung der Verjährungsfrist als „Freipass für den Täter“, da die an den Kindern begangenen Verbrechen oft erst Jahre später in der ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis zutage träten. Sie sah dringenden Handlungsbedarf und sorgte deshalb im Eilverfahren über den Weg einer Kommissionsinitiative dafür, dass bereits im Jahr 1997 die Verjährungsfrist wieder auf zehn Jahre heraufgesetzt wurde.

Um „den neuesten Befunden der Kriminologie und dem Opferschutz vollumfänglich Rechnung“ zu tragen, reichte die Kommission zudem noch vor Inkrafttreten der neuen zehnjährigen Verjährungsfrist eine Motion ein. Sie gab damit den Anstoss zu einer weiteren Strafrechtsrevision, die zu der seit 2002 geltenden Regelung führte: Für schwere Sexual- und Gewaltdelikte an Kindern gilt eine Verjährungsfrist von 15 Jahren. Die Verjährung dauert aber in jedem Fall mindestens bis zum vollendeten 25. Altersjahr des Opfers.

Nachdem die Verjährungsfristen in den letzten 16 Jahren dreimal geändert worden sind, sehen wir uns nun mit der Forderung nach der Unverjährbarkeit konfrontiert. Bei einer Annahme der Volksinitiative würde das Pendel vom einen Extrem – der Revision von 1992 mit einer Verjährungsfrist von zwei bzw. fünf Jahren – ins andere Extrem ausschlagen. Mit dem indirekten Gegenvorschlag haben Bundesrat und Parlament dagegen eine austarierte und massgeschneiderte Lösung ausgearbeitet, die im Übrigen weitgehend den Regelungen der meisten europäischen Länder entspricht.

Letzte Änderung 21.10.2008

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