Politische Aufarbeitung

Bis spät ins 20. Jahrhundert hinein wurden in der Schweiz Kinder, Jugendliche und Erwachsene Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Sie wurden – weil sie z. B. arm waren oder nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen – in Heimen und oder Pflegefamilien untergebracht, in der Landwirtschaft verdingt, in Anstalten versorgt. Dabei wurden ihnen und ihren Angehörigen grundlegende Rechte vorenthalten und sie waren oftmals behördlicher Willkür sowie Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Seit jeher gab es kritische Stimmen zur Praxis dieser Massnahmen und ihren oft gravierenden Folgen für die Betroffenen. Auch die Öffentlichkeit und Politik hatten – insbesondere in Zusammenhang mit einzelnen Skandalen und Medienreportagen – Kenntnis davon. Jedoch fand der Ruf nach umfassenden Untersuchungen, der Abschaffung der Missstände und des Unrechts auf nationaler politischer Ebene für lange Zeit kein Gehör und keine Mehrheit.

Erst die grossen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Umwälzungen nach dem Zweiten Weltkrieg (insbesondere der Wirtschaftsaufschwung der 1950er Jahre, der Ausbau der Sozialwerke auf Bundesebene sowie die Demokratisierung der Gesellschaft im Zuge der 68er Bewegungen) führten schrittweise zu Änderungen und Anpassungen in der Praxis und auf gesetzlicher Ebene und trugen dazu bei, dass die Zahl der Betroffenen und Massnahmen allmählich zurückging.

Einhergehend mit diesen Veränderungen begann ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur in der Schweiz – ein Zeitalter der staatlichen Aufarbeitung historischen Unrechts. In der Schweiz fand in den 1980er Jahren mit der Aufarbeitung des Schicksals der zwangsplatzierten jenischen Kinder (Aktion "Kinder der Landstrasse") erstmals eine breite Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der Zwangsfürsorge und Fremdplatzierungen statt. Die Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg durch die Bergier-Kommission ab Mitte der 1990er Jahre und die Rehabilitierung von Flüchtlingshelfern zur Zeit des Nationalsozialismus sowie der Schweizer Spanienkämpfer im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sind weitere Beispiele dafür, dass sich die offizielle Schweiz mit problematischen Kapiteln ihrer Vergangenheit auseinandersetzte.

Eine umfassende nationale politische Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen fand ihren Anfang hingegen erst in den 1990er Jahren. Dank dem beharrlichen Engagement von Einzelpersonen und von Opfer- und Betroffenenvereinigungen sowie der thematischen Auseinandersetzung durch Medien und Kulturschaffende wurde ein öffentlicher Meinungsbildungsprozess angestossen. Auch die Forschung setzte sich vermehrt mit den Hintergründen und den Auswirkungen der Zwangsfürsorge und Fremdplatzierung auseinander. Im Gegensatz zu früheren Anläufen, fand das Thema schliesslich Ende der 1990er Jahre Eingang in die nationale politische Agenda. Damit begann ein mehrere Jahre dauernder Aufarbeitungsprozess. Zentrale Meilensteine waren dabei die Bitte des Bundesrates und der Kantone um Entschuldigung, an zwei nationalen Gedenkanlässen in den Jahren 2010 und 2013, sowie an kantonalen Gedenkfeiern ab 2011. 2013 wurde zudem ein Runder Tisch eigesetzt. Dieser erarbeitete die Grundlagen für die Schaffung eines Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) im Jahr 2016. Auf Basis des AFZFG werden in den Kantonen ab 2017 Zeichen der Erinnerung zum Gedenken an die Opfer geschaffen.

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Letzte Änderung 30.08.2022

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