Bundesrat lehnt Volksinitiative "für Mutter und Kind" ohne Gegenvorschlag ab
Bern, 16.11.2000 - Der Bundesrat beantragt Parlament, Volk und Ständen, die Volksinitiative "für Mutter und Kind" ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Die Initiative will einen Schwangerschaftsabbruch nur zulassen, wenn auf diese Weise eine akute Lebensgefahr für die Mutter abgewendet werden soll. Damit ist sie deutlich restriktiver als die heute in den meisten Kantonen herrschende Praxis und belässt der Frau keinerlei Selbstbestimmungsrecht in dieser Frage. Der Bundesrat hat sich am Mittwoch zudem erneut dafür ausgesprochen, dass bei einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs neben den Interessen der schwangeren Frau auch der Schutz des werdenden Lebens angemessen zu berücksichtigen sei. Er sieht diesen Schutz dann gewährleistet, wenn sich die schwangere Frau vor der Abtreibung von unabhängiger dritter Seite beraten lässt.
Die Volksinitiative "für Mutter und Kind - für den Schutz des ungeborenen Kindes und für die Hilfe an seine Mutter in Not" wurde am 19. November 1999 mit 105 001 gültigen Unterschriften in Form des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht. Gemäss Initiative soll die Bundesverfassung durch eine Bestimmung ergänzt werden, die das Leben des ungeborenen Kindes schützt und Richtlinien über die erforderliche Hilfe an die Mutter in Not aufstellt. Der Abbruch der Schwangerschaft soll nicht mehr möglich sein, "es sei denn, die Fortsetzung der Schwangerschaft bringt die Mutter in eine akute, nicht anders abwendbare, körperlich begründete Lebensgefahr".
Enger Gesundheitsbegriff - ein Rückschritt
Gemäss geltendem Recht (Artikel 120 Strafgesetzbuch) ist ein strafloser Schwangerschaftsabbruch nur möglich, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Während der Gesetzgeber vor über 50 Jahren in erster Linie an körperliche Gefahren für Leben und Gesundheit der Schwangeren dachte, wird heute in der Praxis der weite Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet. Nach WHO ist Gesundheit ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Die heute praktizierte medizinische Indikation berücksichtigt daher auch die juristische, soziale und embryopathische Indikation. Die von der Initiative vorgeschlagene Regelung legt den Gesundheitsbegriff so aus, dass nur die medizinische Indikation im engen Sinn zulässig sei. Das würde einen Rückschritt bedeuten.
Die Initiative lässt zudem die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Werte der letzten 30 Jahre - namentlich hinsichtlich der Stellung der Frau - ausser Acht. Die Initiative zwingt sogar eine Frau, die infolge einer Vergewaltigung schwanger geworden ist, ihr Kind auszutragen. Sie bietet ihr allerdings die Möglichkeit an, in die Adoption ihres Kindes einzuwilligen. In der Praxis gilt eine solche Situation seit langem als Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch, da von einer Frau nicht verlangt werden kann, eine Schwangerschaft zu bejahen, die Folge eines Sexualdelikts ist.
Der Bundesrat begrüsst den Grundsatz, dass die Kantone Müttern in Not Hilfe leisten sollen. Dieses Ziel der Initiative ist allerdings bereits erfüllt. Seit 1984 bieten in allen Kantonen Beratungsstellen den schwangeren Frauen und den durch eine Schwangerschaft betroffenen Personen Rat und Hilfe an.
Für Alternative zu Volksinitiative und Fristenlösung
Der Bundesrat bekräftigt seine bisherige Position, dass eine Aenderung der Strafbestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch notwendig ist. Er verzichtet jedoch auf einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative "für Mutter und Kind". Er geht davon aus, dass das Parlament im Rahmen der gegenwärtigen Beratungen über die parlamentarische Initiative Haering Binder eine mehrheitsfähige Lösung finden wird. Nach Ansicht des Bundesrates soll der Schutz des werdenden Lebens nicht ausschliesslich mit den Mitteln des Strafrechts gewährleistet werden. Nötig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, das Beratung, Vorbeugung und Hilfe umfasst. Als Alternative zur vorliegenden Volksinitiative sowie zur Fristenlösung im Sinne der parlamentarischen Initiative bevorzugt der Bundesrat allerdings eine Lösung mit obligatorischer Beratung durch eine entsprechend qualifizierte staatlich anerkannte Beratungsstelle. Diese Lösung berücksichtigt sowohl das Interesse des Kindes vor der Geburt (umfassende obligatorische Beratung) als auch der schwangeren Frau (Selbstbestimmung während der ersten drei Monate der Schwangerschaft).
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